9. Juli 2020
Mike Mandl
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DIE WIRKUNG DES BITTEREN GESCHMACKS

Jede Jahreszeit hat eine spezifische Qualität und wird in der TCM einem der Fünf Elemente zugeordnet. Verstehen wir diese Qualität, dann können wir diese auch in unserem Alltag wieder entdecken. Der Geschmack des Feuer-Elements ist bitter.

DER BITTERE GESCHMACK

Ausgerechnet der Jahreszeit, die durch Freude, Frohmut und Leichtigkeit gekennzeichnet ist, wird der bittere Geschmack zugeordnet. Das ist interessant, dann auf der Sympathieskala rangiert der bittere Geschmack auf den unteren Rängen. Besser: Er rangiert am letzten Rang. Süß, salzig, sauer, da sind wir alle mit Freude und Genuss dabei, ob jung oder alt, davon können wir nicht genug bekommen. Beim Scharfen trennt sich schon ein bisschen der Weizen von der Spreu, aber Bitteres am Teller, das ist nur für den harten Kern. Was damit zu tun hat, dass wir Bitteres evolutionär eher als gefährlich einstufen. In der Natur ist vieles ungenießbar bis giftig, was bitter schmeckt. Nicht ohne Grund erkennen wir im Mund Bitterstoffe am schnellsten. Man spricht von der geringsten Entdeckungsschwelle. Ein Gruß aus der Zeit, in der man noch auf Jagen und Sammeln angewiesen war, um zu überleben. Auf das, was die Hand dem Mund zuführte und nicht auf den nächsten, das Risikomanagement komplett übernehmenden Supermark. Bitter ist in diesem Sinne ein Alarmgeschmack und was Alarm auszulösen vermag, das lassen wir nicht allzu gerne in uns herein. Kleine Kinder spucken es sogar aus. So steht das nun einmal in unseren Genen geschrieben.

Die Folge davon: Die Entbitterung des modernen Nahrungsangebotes. Früher gab es mehr Bitteres am Markt. Gurken schnitt man die Enden ab, weil diese zu bitter für den Verzehr waren. Aus der herben Wildmöhre ist die süße Karotte geworden. Der belanglose Golden Delicious hat den Apfelmarkt aufgeräumt. Die Orange hat die Grapefruit ersetzt. Das geht soweit, dass in Richtung Bitter-Blockern geforscht wird, um diesen Sonderling unter den Geschmäcker vor der wachsamen Zunge zu tarnen. Trotzdem erleben wir gerade jetzt eine Renaissance des Bitteren. Dunkle Schokolade ist ein großes Geschäft geworden, so auch der Handel mit exklusiven Olivenölen. Auf Salaten finden sich vermehrt Löwenzahn und Wildkräuter. In der Sterneküche wird Verkohlen bewusst als Geschmacksprovokation eingesetzt. Die bitteren Craft-Biere setzen Pils & Co ordentlich zu und kein sommerlicher Sonnenuntergang, der etwas auf sich hält, darf ohne Aperol Spritz über die Bühne gehen. Bitter ist back. Warum? Weil wir uns die Welt zu süß gemacht haben.

So manch Bitteres mag giftig sein, aber das größte Gift der industrialisierten Nahrungskette ist der raffinierte Zucker. Jetzt ist es so: Die TCM misst dem süßen Geschmack eine stark befeuchtende Wirkung bei. Das merkt man ja auch. Isst man zu viel Süßes, geht der Körper auf. Das Gewebe wird weich. Flüssigkeiten überall, vor allem um den Bauch und um die Hüften. Zudem kommt: Auch der saure und der salzige Geschmack sind von ihrer Wirkung her Aufbaugeschmäcker, die dem Körper helfen, Energie zu konservieren. Aber es wird dann gleich alles mit konserviert. Sprich: Überschuss. In Summe leiden wir unter zu viel Input und unter zu wenig Output. Wir haben zu eliminieren und zwar satt. Unsere Mitte entgleist. Der bittere Geschmack ist zwar die dem Feuer-Element zugeordnete Geschmacksrichtung. Der bittere Geschmack ist zugleich aber auch der Therapiegeschmack für das Element der Mitte, für das Erd-Element: Bitter senkt ab und leitet aus. Anders ausgedrückt: Der bittere Geschmack trocknet aus. Diese Wirkung merkt man zum Beispiel in Form des vermehrten Harndrangs nach einer wirklich starken Tasse Kaffee. Feuchtigkeit wird im Körper primär über Harn und Stuhl ausgeschieden. Dem bitteren Geschmack wird daher eine reinigende Wirkung zugeschrieben. Weil mit der Feuchtigkeit auch der ganze Müll aus dem Körper geschwemmt wird. Dieses Trockenlegen des Systems ist der Grund, warum viele bittere Lebensmittel als Schlankmacher gelten und derart am Markt positioniert werden, wie zum Beispiel manche Sorten von grünem Tee.

Sinnvoller wäre es natürlich, die Feuchtigkeit an der Wurzel zu packen, sprich auf Süßes zu verzichten, vor allem auf leere Kohlenhydrate. Ist es daher weise Intuition, dass gerade in der kohlenhydratreichen italienischen Küche wesentlich mehr bittere Nahrungsmittel wie zum Beispiel Rucola oder Radicchio eingesetzt werden? Dass Italien der Inbegriff für intensiven Kaffeekonsum ist? Dass Bitterliköre wie Aperol, Averna oder Campari ebenfalls aus dem Land kommen, das ob seiner Mentalität dem Feuer-Element sehr nahe steht?

Und hat diese Intuition nun auch uns ergriffen und zum Revival des Bitteren geführt? Weil wir spüren, dass wir etwas loswerden sollten? Oder werden wir nun doch langsam erwachsen? Denn der bittere Geschmack ist auch der Geschmack des Erwachsenwerdens. In der Wachstumsphase der Kindheit dominiert Süßes. Es ist die Hochblüte des Holz-Elements und Pflanzen brauchen genügend Feuchtigkeit und Energie, um sich entfalten zu können. Und dann, als würde in der Pubertät ein geschmacklicher Schalter umgelegt werden: Plötzlich schmeckt Kaffee. Plötzlich schmeckt Bier. So als wollten wir damit die letzten Reste des Babyspecks eliminieren wollen. Transformation auf allen Ebenen.

Zurück zum Ausleiten: Der bittere Geschmack senkt ab und leitet aus. Das ist im Sommer wichtig. Zum einen konsumieren wir in dieser Zeit vermehrt süße Sachen, von reifem Obst bis Eis. Zum anderen konsumieren wir Lebensmittel mit einem hohen Flüssigkeitsgehalt, ob Salat, Tomate oder Gurke. Natürlich: Das alles hilft das System feucht und kühl zu halten, damit es in der Hitze nicht austrocknet. Nur: Es darf nicht zu viel von dieser Feuchtigkeit werden. Denn trifft innere Feuchtigkeit auf äußere Hitze, ergibt das ein Klima, das schwer zu ertragen ist. Das macht träge und müde. Das ist der Nährboden für viele Krankheiten. Man denke an tropisches Klima mit hoher Luftfeuchtigkeit, das einen zur Untätigkeit zwingen kann. Man denke daran, wie fröhlich Schimmel und Pilze bei feuchtwarmen Bedingungen gedeihen. Und ein feuchtwarmes Klima kann es nicht nur außen, das kann es auch innen geben. In der TCM spricht man von feuchter Hitze und dann fühlt man sich so, als wäre man selbst ein heißer, schwüler Sommertag geworden, der Gehen, Denken und Atmen zur sportiven Herausforderung werden lässt. Die Pilze, Bakterien und Viren im Körper freuen sich und gedeihen prächtig. Pilze im Unterleib, Pilze im Verdauungstrakt, Entzünden an allen Ecken und Enden des Körpers, dazu eine hohe Empfänglichkeit für die Sommergrippe. Damit es aber gar nicht soweit kommt, sollte gerade im Sommer immer wieder Bitteres in Maßen am Speiseplan stehen.

Nur zu viel darf es nicht sein. Das würde es auch nicht, wenn wir uns nicht selber beschummeln würden. Bitteres am Teller macht sich deutlich bemerkbar und die Gefahr einer Überdosis ist denkbar gering. In der Tasse kann sich Bitteres jedoch verkleiden. Dazu braucht man nur ein bisschen Zucker und / oder Milch. Wir sprechen von Kaffee und Tee. Beides ist sehr bitter. Trotzdem konsumieren wir Unmengen davon. In Österreich serviert man daher immer ein Glas Wasser zum Kaffee, weil man weiß, dass es die ausleitende Wirkung der bitteren Getränks zu kompensieren gilt. Trotzdem: Bitterexzess kann laut TCM zu Trockenheitszuständen führen. Darunter fallen auch vier Tassen Kaffee oder ein Liter Schwarztee. Trockenheitszustände können sich in trockener Haut, trockenen Augen, trockenen Nägeln, trockenem Mund, Durstgefühl, aber auch in Verstopfung zeigen, sprich der Stuhl rutsch einfach nicht mehr weiter. Ausnahme: Hat die Verstopfung eine andere Ursache oder ist sie so akut, dass sie behandelt werden muss, dann ist Bitteres in Bezug auf seine ausleitende Funktion nicht zu übertreffen: Ein Glas Wasser mit Bittersalz und Tschüß. Kurzfristig eingesetzt macht das durchaus Sinn. Als Stoßtherapie. Längerfristig sollten „Dauermedikamente“ wie vor allem Kaffee jedoch mit Bedacht eingesetzt werden.

Denn: Trockenheit im System bedeutet auch, dass wir leichter Feuer fangen, dass wir innerlich zu brennen beginnen. Das kann zu Unruhe, Nervosität oder Schlafstörungen führen. Sind das nicht genau die Symptome, die oft mit erhöhtem Koffeingenuss einhergehen? Man kann sagen: Es liegt am Koffein. Koffein ist übriges dasselbe wie Teein. Tee macht die Sache daher nicht besser, ob schwarz, grün, rot oder weiß. Man kann auch sagen, es liegt an der Trockenheit und am Feuer. Letztendlich spielt das keine Rolle: Bei all diesen Symptomen ist extrem Bitteres zu meiden. 

Also: Ja, bei Feuchtigkeit. Ja, bei gewissen Symptomen. Und sonst? Die absenkende Wirkung des bitteren Geschmacks sorgt vor allem im Sommer in zweierlei Hinsicht für eine gesunde Balance. Zum einen steht die Wirkrichtung in Opposition zur auflodernden Qualität des Feuers. Ein bisschen bitter senkt das Feuer ab, damit es nicht zu ungestüm wird. Zum anderen braucht vor allem der Verdauungstrakt in der heißen Jahreszeit Unterstützung. Die Energie des Feuer-Elements dehnt sich aus, ist nach außen gerichtet. Im Sommer befindet sich viel Energie an der Peripherie unseres System. Das ist auch notwendig. Die Haut muss viel arbeiten: Sonnenstrahlen abwehren, Schwitzen, vor Wind schützen. Da bleiben wenig Ressourcen für den Verdauungstrakt. Entweder man heizt ihm ein, mit scharfen Lebensmitteln und Gewürzen, wie das in tropischen oder subtropischen Ländern gerne gemacht wird.

 Oder man holt die Energie retour: Mit dem bitteren Geschmack. Dabei geht es vor allem um den Magen, der in der TCM eine stark aufsteigende Wirkrichtung hat und sich von Hitze gerne mitreißen lasst. Ein bitterer Aperitif, auch das ist empirisches Volkswissen, bringt die Magensäfte zum Fließen. Nach unten. Das führt zu wohligem Knurren und Hunger. Und nach dem Essen? Da hilft Bitteres ebenfalls. Ob Magenbitter oder eben Kaffee. Wobei letzterer wiederum eher bei kohlenhydratlastigen Speisen zu empfehlen ist, wegen der Feuchtigkeit. Das ist auch der Grund, warum bei einem üppigen italienischen Mahl gegen Mitternacht ein kleiner Espresso durchaus den Schlaf begünstigen kann: Weil er die Stagnation im Bauch auflöst. Bitteres für süße Träume? Auch das ist möglich. Man muss nur wissen wie und wann.

Wirkungsweise des bitteren Geschmacks

  • Absenkend, ausleitend
  • Feuchtigkeit trocknend
  • Hitze klärend, entzündungshemmend
  • Verdauungsfördernd
  • Reinigend, entgiftend

Indikationen des bitteren Geschmacks

  • Feuchtigkeitszustände
  • Nahrungsstagnation
  • Feuchte Hitze Erkrankungen
  • Aufsteigendes Feuer

 Kontraindikationen des bitteren Geschmacks

  • Trockenheitszustände
  • Blut-Mangel
  • Yin-Mangel
  • Substanz-Mangel
  • Leere Hitze

 

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